Seelenleben

Um zu begreifen, welchen Wert meine Dreiteilung des Seelenlebens für den täglichen Umgang mit diesem Wort hat, muss man erst mal begreifen, was die Benutzung dieses Wortes mit uns macht ohne diese Dreiteilung.

Die Benutzung dieses Wortes (Seelenleben) ruft in jedem von uns Vorstellungen hervor. Diese Vorstellungen sind bei jedem von uns anders. Ohne uns auf die Fülle der dabei zu Tage kommenden Vorstellungen einzulassen, können wir ohne weiter darüber nachzudenken ohne Einschränkungen festhalten: jeder von uns hat bei der Benutzung dieses Wortes seine ganz persönlichen Vorstellungen. Und wir können ebenfalls ohne zu zögern hinzufügen: bei vielen von uns sind diese Vorstellungen durchaus nicht festgelegt, sondern unterliegen einem ständigen Wandel.

Dieser Sachverhalt hat zur Folge, dass, wenn dieses Wort zu einem Diskussionsthema wird, es keine Möglichkeit gibt, sich auf eine Gemeinsamkeit zu einigen. Dieses Wort, wenn es zum Thema wird, führt zum Streit. Bei diesem Thema ist eine Verständigung zwischen zwei Menschen, selbst dann, wenn beide guten Willens sind, nicht wirklich möglich. Alles, was wie Verständigung bei diesem Thema aussieht, läuft nach dem Schema: der eine behauptet etwas, der andere stimmt dieser Behauptung zu. Mit Verständigung hat das aber nichts zu tun. Das ist die Unterwerfung.

Dieser Missstand wäre nicht der Rede wert, wenn es sich bei diesem Wort und bei dem, was es bezeichnet, nämlich dem Seelenleben, um etwas vollkommen unwichtiges handeln würde. Das ist aber ganz und gar nicht der Fall. Das, was dieses Wort bezeichnet, das Seelenleben, ist ein Wort mit einem Inhalt, der uns alle bis ins Innerste bewegt.

Wie also kommen wir heraus aus der Unmöglichkeit einer Verständigung über dieses lebenswichtige Thema?

In dem wir Fragen, woran das liegt.

Eine Verständigung über ein Diskussionsthema kann nur dann und nur soweit zustande kommen, wie dieses Thema oder diese zur Diskussion stehende Gegenstand eine Struktur hat, die beide Seiten erkennen, und der beide Seiten sich orientieren können. Über einen strukturlosen Gegenstand kann es keine Verständigung geben. Fantasien ja, aber Verständigung nein.

Was also eine Verständigung über das Seelenleben unmöglich macht, ist seine innere Strukturlosigkeit. Wir alle wissen, dass wir ein Seelenleben haben, aber wir können nicht darüber reden, ohne dabei in Missverständnisse zu geraten, denn jeder von uns hat davon seine eigenen Vorstellungen. Da es sich bei diesem Wort aber um ein Anliegen handelt, das nicht nur jeden von uns persönlich betrifft, sondern auch unser persönliches Zusammenleben, wir also auf Verständigungen über dieses Anliegen angewiesen sind, können wir uns Missverständnisse in diesem Anliegen nicht erlauben, zumindest nicht im größeren Maße. Somit wird deutlich, welchen Wert die Erkenntnis einer inneren Struktur des Seelenlebens für uns alle hat.

Hier darf es keine Willkür geben und keine persönlichen Eitelkeiten, sondern nur den reinen Forschergeist. Nur der kann zu einer brauchbaren Struktur des Seelenlebens finden. Ob die dann stimmt, also dem Bild der Natur vom Seelenleben und seiner Struktur nahe kommt, kann nur die Gegenprobe am Seelenleben aller Menschen unter Beweis stellen.

Um die Erkenntnis dieser Struktur geht es bei meiner Dreiteilung, um die Auffindung und Benennung der Inhalte dieser drei und um die Art und Weise der Zusammenarbeit dieser drei, handelt es sich doch bei dieser Dreiteilung um einen Organismus.

Wer begriffen hat, welchen Wert die Struktur des Seelenlebens für dessen Brauchbarkeit hat, der beginnt die Struktur, die ich für das Seelenleben gefunden habe, wertzuschätzen. Der kommt zu der Einsicht, dass darin die Möglichkeit einer Verständigung über unser Seelenleben gegeben ist und damit nichts geringeres als die Möglichkeit des Friedens unter den Menschen.

Ob ich nun spreche vom Seelenleben oder vom Menschenbild ist in meinen Augen egal, denn in den Inhalten ist der Unterschied zwischen diesen beiden Begriffen keiner. Ich sehe keinen, und ich benutze diese beiden Begriffe als wären sie einer. Dies nur zur Klarheit.

Bevor ich mich der inneren Struktur dieser Begriffe zuwende, also der von mir gefundenen Struktur ihrer Inhalte, muss ich klarstellen

welche Bedeutung diese Begriffe für unsere Lebensführung haben und

welche Inhalte diese Begriffe in unserem gegenwärtigen Sprachgebrauch haben.

Dass wir ein Seelenleben haben und jeder von uns auch ein Bild vom Menschen in sich trägt, darüber gibt es keinen Streit, sondern ein allgemeines Einverständnis. Dass es sich bei diesen beiden Begriffen nicht um unwichtige Kinderreihen handelt, sondern um Themen, die von allergrößter Wichtigkeit für unsere Lebensführung sind, die geradezu Kompass Charakter haben, darüber gibt es auch keinen Zweifel.

Wenn wir nun aber uns Fragen nach den konkreten Inhalten dieser Begriffe, nach Inhalten, die allgemein anerkannt und als allgemeine Orientierung zur Verfügung stehen und damit als Grundlage zu einer Verständigung in der Bearbeitung von Problemlagen dienlich und damit brauchbar sind, wenn wir uns das fragen, dann kommen wir zu der Erkenntnis, die mancher wohl auf Anhieb gar nicht anerkennen kann und will, nämlich der, dass es einen solchen konkreten Inhalt bei diesen Begriffen gar nicht gibt. Und das, obwohl wir diese Begriffe eigentlich täglich im Gebrauch haben. Und wenn wir uns von der ersten Überraschung über diese Erkenntnis erholt haben, vielleicht auch den Protest darüber abgelegt haben und wieder zu einem ganz ruhigen, nüchternen und sachbezogenen Denken zurückgefunden haben da zu der Erkenntnis: diese Begriffe haben schon einen Inhalt, das spüren wir deutlich, aber er ist uns nicht fassbar, er steht uns nicht für einen konkreten Umgang zur Verfügung. Kurz und gut: er ist strukturlos. Er hat keine Struktur. Aber er ist doch da!? Ja, ist er. Und nun schauen wir mal ganz genau hin, woraus er besteht. Und wenn wir das tun, dann kommen wir nach und nach zu der Erkenntnis: das sind Vorstellungen, das sind persönliche Vorstellung. Das sind Vorstellungen, die jeder für sich im Laufe seines Lebens gesammelt hat, und die er sich für den Bedarfsfall zu Verfügung hält.

Die Inhalte der Begriffe Seelenleben und Menschenbild sind also höchstpersönliche Vorstellungen und Erfahrungen.

Nach dieser Erkenntnis wird klar, warum es so schwer ist, sich über Themen zu verständigen, bei denen diese Begriffe (Seelenleben, Menschenbild) eine Rolle spielen. Und da diese Begriffe bei den meisten zwischenmenschlichen Themen eine Rolle spielen, warum es so viel Streit, so viel Unfrieden, so viel Unversöhnlichkeit gibt.

Und es wird klar, wie gut es wäre, wie segensreich, wenn es eine allgemeinverständliche und damit für den menschlichen Umgang brauchbare Struktur der Inhalte diese Begriffe gäbe.

Erst wer diese Erkenntnis endlich anerkannt und beherzigt hat, der wendet sich voller Erwartung der von mir aufgefundenen Innenstruktur dieser Begriffe (Menschenbild, Seelenleben) zu. Denn der hat begriffen: sollte diese Struktur stimmen, dann wird sein Leben leichter, nämlich der Umgang mit sich selbst und mit seinen Mitmenschen. Es geht ja nicht nur um den Umgang mit unseren Mitmenschen, sondern auch um den Umgang mit uns selbst.

Wer schlechte Vorstellungen im Laufe seines Lebens in sich angesammelt hat, der geht nicht nur schlecht um mit seinen Mitmenschen, sondern auch mit sich selbst. Aber wer die naturgegebene Struktur seines eigenen Seelenlebens in sich erkannt hat, der geht besser mit sich um, nämlich so, wie die Natur mit umginge, wenn er sie nur ließe, und nicht, wie die Erfahrungen mit dem Umgang der Menschen es ihm im Laufe seines Lebens beigebracht haben.

Der Mensch, der die naturgegebenen Umgangsstrukturen in sich nicht erkennt, sondern sich in seinem Verhalten nur von den Umgangsweisen seinen Mitmenschen leiten lässt, dem geht es meistens nicht gut.

Das würde ja heißen, dass der Mensch die in ihm angelegten Umgangsstrukturen gar nicht kennt?

Meine Antwort darauf ist: im Umgang mit der Umwelt ist ihm das Bewusstsein dafür mehr oder weniger abhandengekommen. Es liegt in seinem Interesse, das Bewusstsein dafür wiederzufinden. Aber zu dieser Erkenntnis muss er erst mal gelangen. Dafür muss er sich seine eigenen Gedanken machen, oder wenigstens auf solche Menschen hören, die ihn dazu verhelfen.

Nun, da das Bewusstsein für den Wert der inneren Struktur der Begriffe Seelenleben/Menschenbild erwacht, vorhanden und lebendig ist, komme ich auf die Struktur selbst zu sprechen.

Ich habe das Seelenleben eingeteilt

in das Gefühlsleben,

in das Ich,

in die Stimme des Verstandes.

Diese Einteilung (Struktur) ist nicht an einem Tag entstanden oder nur in einem einzigen lichten Augenblick mir zugeflogen, sondern ist das Ergebnis eines langen Arbeitsprozesses mit den Menschen, die mit ihren Lebensproblemen zu mir kamen. Das war ein Arbeitsprozess von vielen Jahren.

Ich muss hier vermerken, dass ich von Anfang an nicht mit einem unstrukturierten Begriff vom Seelenleben gearbeitet habe, sondern mit einem strukturierten. Nämlich mit der Struktur, die ihm Siegmund Freud gegeben hat. Übrigens auch eine Dreiteilung, nämlich in

das Es,

das Ich,

das Über-Ich.

Ich muss zudem vermerken, dass bei mir diese Begriffe (Seelenleben, Menschenbild) auch vor meiner analytischen Ausbildung nicht ohne innere Struktur waren. Ich stamme aus einem katholischen Elternhaus. Der gibt es das Gottesbild. Das hat eine bestimmte innere Struktur. Ebenfalls eine Dreiteilung, nämlich in

Gott Vater,

Gott Sohn,

Gott Heiliger Geist.

Ich habe lange gebraucht, bis ich gemerkt habe, dass dieses christ- katholische Gottesbild kein Gottesbild ist, sondern ein Idealbild vom Menschen. Denn es ist nicht von Gott gemacht, sondern von Menschen.

Bei meiner Arbeit mit den Menschen deren Lebensproblemen waren also die beiden Begriffe (Seelenleben und Menschenbild) in meinem Inneren von zwei Strukturen besetzt. Also diese Begriffe waren bei mir selbst nicht wirklich angefüllt mit persönlichen Vorstellungen, sondern besetzt mit Strukturen: die christkatholische von Kindheitstagen, und die Freud`sche aus den Zeiten meiner psychoanalytischen Ausbildung. Konkurrenten waren die eigentlich nicht. Wenn die etwas waren, dann waren die Beweger, Motivatoren. Denn in beiden war ich nie richtig vorgeworden. Das war mir aber in den längsten Zeiten meines Lebens unbewusst. Aber dieses Unbehagen war in diesen langen Zeiten sicherlich nicht unwirksam. Zum wirklichen Antreiber ist dieses Unbehagen erst in meiner beruflichen psychoanalytischen Arbeit mit den Menschen geworden. D.h. aber in der Arbeit mit deren und mit meinem Seelenleben. Jede Arbeit mit dem Seelenleben anderer hat auch Auswirkungen auf das eigene Seelenleben. Bei dieser Arbeit also ist die Suche nach einer allgemeingültigen, einer alltagstauglichen Innenstruktur dieser Begriffe, die schon lange in mir schlummerte, zum Leben erwacht und zuletzt auch nun zum vollen Bewusstsein. Also erst, als ich im Vollbesitz meiner Struktur war, habe ich gemerkt, was ich gefunden hatte und auch gemerkt, dass es nicht die Strukturlosigkeit dieser Begriffe gewesen war, die mich dahin getrieben hatte, sondern das Unbehagen mit den zwei bereits bestehenden und mir angetragenen Strukturen. Die Einsicht in die gegenwärtige Strukturlosigkeit dieser beiden Begriffe ist mir erst in diesen Tagen gekommen. Ich denke, dass dies keine persönliche Fantasie ist, sondern wirklich eine Einsicht. Sie wäre eine Erklärung für die weit verbreitete innere Orientierungsunsicherheit, oft fast Orientierungslosigkeit.

Dieser Einsicht folgt bei mir eine weitere. Vielleicht ist das aber nur meine Fantasie. Die genannten Strukturen, die christkatholische und die Freud sche, haben allmählich an Kraft verloren. Dieser Vorgang hat die Menschen zurückgeworfen auf ihre persönlichen Lebenserfahrungen und Lebensvorstellungen und damit in ganz unterschiedliche Gemütszustände geraten lassen. Mich selbst offenbar in eine große innere Unruhe, die noch verstärkt wurde durch meine Arbeit mit den Menschen und ihren Lebensproblemen. Diese Unruhe war es, die mich zu dieser Struktur hat hin finden lassen. Dafür bin ich meiner Natur dankbar, meinem Schutzengel.

Diese Dreierstruktur, bestehend aus dem Gefühlsleben, dem Ich und der Stimme des Verstandes, hört sich leichtgewichtig an, sie erhält aber ihr wahres Gewicht und die ihr zustehende Bedeutung durch die Eigenschaften und Kräfte und deren Ausmaße, die sie beherbergt, und durch die Art und Weise ihres Zusammenwirkens.

In dieser Dreierstruktur haben alle Menschen ihren Platz. Hier wird niemand ausgeschlossen. Hier findet jeder sich verstanden. Hier kommt jeder zu seinem Recht. Hier hat jeder Einsatz seinen Lohn.

Dies ist kein neuer „Ansatz“, sondern eine neue Ordnung, eine Ordnung, die schon immer da war, die im Menschen von Anfang an angelegt war und im Untergrund immer wirksam, dies ist eine Ordnung, die nicht neu ist, sondern uralt, die sich nun auf den Weg gemacht hat, (wieder) Einzug zu halten in das Bewusstsein der Menschen.