Das vorgeburtliche Leben ist ein Zwischenleben zwischen dem Wir allen Lebens und dem Ich dieses Lebens. Zwischen der Unbegrenztheit allen Lebens und den Begrenzungen dieses Lebens.
Zwischen der Strukturlosigkeit des Wir und der Strukturverhaftetheit des Ich liegt als Zwischenland die Fülle allen Lebens. Zwischen der Unbegreiflichkeit und dem, was wir Diesseitskinder als Lebensalltag wahrnehmen, liegt ein Land, das wir als die Unabsehbarkeit allen Lebens ansehen. Dies ist ein Land, das gerade eben noch erreichbar ist für die weiten unserer Fantasie und für die Höhenflüge unseres Erlebens. Dies ist das Zwischenleben. In diesem Land spielt sich das vorgeburtliche Leben ab. Hier, in diesem Land, hier, in diesem Zwischenleben zwischen dem Wir und dem Ich entstehen unsere Entwürfe und unsere Vorhersagen von der Unbegreiflichkeit des Wir.
Hier, in diesem Zwischenleben, erfährt das Ich von seinem Ruf, von seiner Rolle, von seinen zukünftigen Aufträgen. Hier, in dieser unabsehbaren Aufführung aller Formen allen Lebens, hier erlebt das fahrende Ich den Erdkreis allen Lebens. Eine unabsehbare Einführung in die Strukturen des Lebens und in seine persönliche Rolle und Auftragslage. Dies ist ein riesiger Arbeitsmarkt allen Lebens, das Struktur angenommen hat, eine Unzahl an Rollen und Aufträgen.
Die Begrenztheit dieses Lebens ist sehr anstrengend. Um mit der zurechtzukommen, mit allen deren Rollen, Aufträgen und Problemen, dafür ist eine große Kraft nötig.
Ein Vorleben, ein Zwischenleben, und viel Schlaf in diesem Leben sind dafür nötig. Der Schlaf ist erfunden als Pausen für die Erholung von diesem Leben. Der Mensch braucht sehr viel Pausen, um dieses Leben zu schaffen. Scheinbar braucht alles strukturbeauftragte Leben viel Schlaf für seine Rolle und seine Aufträge. Viele Ruhepausen und viel Kraft aus seinen Vorleben.
Das Zwischenleben ist ein Traumleben sowohl für das Ich wie auch für das Wir. Das Wir, das in allem Leben webt und wandelt, das ist auch hier dem werdenden Ich ein sicherer Begleiter. Das Ich auf dem Wege zur Struktur seines Lebens, zu seiner Rolle und zu seinen Aufträgen, das Ich, bevor es eintritt in seine Rolle, das darf hier erschauen, was alle die anderen Ichs getan haben und tun in ihren Rollen, das erfährt hier auf einer langen Traumreise eine ganz ausführliche Unterweisung und Ermutigung für seinen Weg in seine kommende Welt und für seinen Auftritt.
Wir kennen die Gedanken der Natur nicht. Wir wissen nicht, wie es in der Strukturlosigkeit des Lebens war, und wofür die Strukturiertheit dieses Lebens beschlossen wurde.
Das Ich ist aus dem Wir hervorgegangen. Es ist aufgerufen worden und bestimmt worden für dieses Leben.
Wie es aufgerufen wurde, so wird es auch wieder abgerufen. Das weiß es. Es lebt in einer unabsehbaren und unbegreiflichen Bestimmung. Zwar beauftragt zum Mittun, aber insgesamt doch in einer größeren und unbekannten Bestimmung. Es hat einen Namen. Schon immer. Das alles weiß es. Aus seinem Vorleben weiß es das. Wenn es das auch in diesem Leben in manchen Augenblicken vergisst. Dann muss es sich ausruhen und schlafen, um sich daran wieder zu erinnern.
Die Verlorenheit ist ein Schreckgespenst. Ich weiß nicht, woher. Ebenso wie die Verirrung. Ich weiß nicht, wie das Ich darauf kommt. Hat das vielleicht was mit Übermüdung zu tun? Ist das vielleicht ein Aufruf zu einer Pause? Oder zu einer Rückbesinnung?
Die Geburt des Ich, seine Ankunft im nachgeburtlichen Leben, die stellt sich sehr schnell heraus als eine Ankunft in einem ganz anderen Leben. In den Niederungen der Struktur. Auch in den Verirrungen der Struktur. Darin kann man sich schon mal verloren vorkommen. Dazu braucht man dann eine gute und große und weit reichende Erinnerung. Manchmal in einem tiefen und langen Schlaf. Manchmal auch durch den Zuspruch eines freundlichen Weggefährten.
Die Biogenetiche Grundregel von Ernst Haeckel aus dem Jahre 1866 besagt:
„dass die Reihe von Entwicklungsformen, die ein Individuum während seiner Entwicklung von der Eizelle an bis zu seinem ausgebildeten Zustand durchläuft, eine kurze, gedränkte Wiederholung der langen Formenreihe ist, welche die Vorfahren desselben Organismus oder die Stammformen seiner Art von den ältesten Zeiten an bis auf die Gegenwart durch laufen haben“.
Grzimeks Tierleben, Bd. 1, Seite 80
Deutscher Taschenbuch Verlag November 1979.
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