Ursache für die Trauer ist ein Verlust.

Jeder Verlust ist schmerzlich. Je größer ein Verlust, desto größer der Schmerz. Der Schmerz kann so groß sein, dass er mit dem Leben nicht mehr vereinbar ist. Beispiel: Romeo und Julia.

Ziel der Trauer ist die Freigabe des Verlorenen. Es ist ein Vorgang, der vergleichbar ist mit einem guten Geschäft. Der Trauernde gibt sein Verlorenes frei. Dafür bekommt er ein neues Leben. Mir kommt der Gedanke: das ist ein Geschäft mit der Natur.

Dieses Geschäft ist aber mit Bedingungen verbunden. Dazu gehören

erstens die Annahme des Verlustschmerzes,

zweitens der Dank für das Gehabthaben des Verlorenen,

drittens die Zuversicht auf ein Wiedersehen.

Das sind Bedingungen, an denen manch ein Trauernder scheitert.

Schmerz erzeugt Angst. Die Angst verweigert den Schmerz. Die Folgen einer fortbestehenden Angst sind vielfältig.

Angst kann jedes Denken und Tun verhindern. Sie kann lähmen. Sie kann sogar das Leben nehmen.

Beispiel:

die Schwester eines tödlich verunglückten Bruders bricht ihr begonnenes Jura-Studium ab, ist fortan nur noch für andere da, tut in eigener Sache nichts mehr und welkt ihrem Lebensende, obwohl verheiratet, kinderlos entgegen.

Die Verbitterung eine weitere Variante der Angst.

Die Rache eine Weitergabe des Schmerzes, die jedoch nicht zu einem eigenen neuen Leben führt. Nur zu einer kurzen Erleichterung. Denn sie ist ein Nimmersatt.

Die Anklage ebenso . . .

Wer durch den Schmerz hindurch findet bis zum Dank für das Gehabte, der ist einer Erlösung nahe.

Wer bei der Zuversicht angekommen ist, der ist bei einem neuen Leben angekommen. Er hat dem Verlorenen in seinem Innersten einen guten Platz gegeben. Der erlebt schon in diesem Leben ein Wiedersehen mit dem Verlorenen.

Beispiel:

vielen Menschen sind ihre Verstorbenen sehr nahe. Ohne sie an ihrem neuen Leben zu hindern. Manche sprechen sogar bisweilen mit ihren Verstorbenen. „Was meinst denn du dazu?“. Die erhalten manchmal gute und brauchbare Botschaften von ihnen.

Die schwierigste Bedingung einer Trauer scheint mir die bedingungslose und volle Annahme des Verlustschmerzes zu sein. Diesem sich zu stellen, ist keine Schwäche, sondern großer Mut.

Es gibt scheinbar Menschen, die verbringen ihr Leben in einer kompromisslosen Schmerzvermeidung. Oder auch solche, die ihre Jahre im Beleidigtsein über zugefügte Schmerzen zubringen, die ohne Unterlass nur davon reden. Mit wem hadern die? Keiner von uns Menschen hat die Welt gemacht. Wem gilt unsere Wut oder unsere Anklage oder unsere Rache?

In der Zuversicht begegnet uns die Unabsehbarkeit der Existenz, auch unserer Existenz. Viele Stimmen höre ich nun dagegen reden. Erstaunlich, dass alle Religionen ausgehen von einem Weiterleben in einer anderen Welt.

Die Naturforschung kennt kein Verlorengehen.

Ich sage immer: das Weltall verliert nichts.

Wir sollten nicht zu oft vergessen, dass wir in unserem Vorstellungsvermögen so begrenzt sind.

Die Trauer ist vollendet, wenn einer in Frieden wieder zu sich zurückgefunden hat, wenn er bei sich angekommen ist und mit sich zu einem guten Umgang gefunden hat . . .

Wenn er allein mit sich wieder gut ist, so wie er ganz am Anfang mit sich war, und so wie er am Ende wieder gehen wird . . .